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Lächelnde Frau
Arbeitswelt gestalten

"Vorurteile beeinflussen das Selbstvertrauen"

Frauen sind in einigen Branchen stark unterrepräsentiert. Woran das liegt und welche Möglichkeiten es gibt, Frauen für handwerklich-technische Berufe zu begeistern, erzählt Sarah Marte-Ender, Geschäftsfeldleitung des Vereins zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung (FAB) in Vorarlberg.

Warum sind Frauen in männerdominierten Berufen nicht stärker vertreten? Sind es fehlende berufliche Interessen, gesellschaftliche Rollenbilder oder sonstige Einflüsse, die hier zum Tragen kommen?

Sarah Marte-Ender: Hier spielen mehrere Einflüsse eine Rolle. Das kann natürlich umfassend beschrieben werden, kurz würde ich aber meinen, dass es einerseits in der Person selbst liegt - wo liegen die persönlichen Eignungen und Neigungen, Fähigkeiten, Kompetenzen und Interessen - andererseits entwickelt und entfaltet sich diese Person in einer bestimmten Gesellschaft und Kultur, womit bestimmte Erwartungen an Rollen oder Verhaltensweisen einhergehen. Das spiegelt sich dann in verschiedenen Lebensaspekten wider.

In der Erziehung: Bei Mädchen werden meist kommunikative und soziale Fähigkeiten gefördert, bei Jungs eher motorische. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass sich das auch in Kindergarten und Schule fortsetzt. Bereits kleine Kinder wissen, was man von ihnen in ihrer Rolle (zu der auch das Geschlecht zählt) erwartet und verhalten sich entsprechend. Abgesehen von den unbewussten Prozessen in der Gesellschaft (Kleider vs. Hosen, Rosa vs. Blau, LKW vs. Puppe). In der Arbeitswelt: Branchen/Berufe, die männerdominiert sind, sind häufiger gut bezahlt und bieten weniger flexible Teilzeitmodelle. Umgekehrtes gilt in frauendominierten Branchen/Berufen. Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Häufig übernehmen Frauen die Rolle der „Umsorgerin“, während Männer die Rolle des „Versorgers“ übernehmen.

Auch wenn sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel getan hat, sobald ein Kind in eine Familie geboren wird, werden die Rollenmuster eher wieder „traditionell“. Aus meiner Sicht sind es vor allem die „ungesagten“ und unbewussten Zuschreibungen und Erwartungen, die dafür sorgen, dass die Mutter eher Teilzeitmodelle in Anspruch nimmt oder den Beruf wechselt – oder gar nicht in einen solchen einsteigt. Dazu ein Beispiel: Wenn das Kind beim Arztbesuch vom Vater begleitet wird und der Arbeitgeber fragt, warum nicht die Frau dies erledigen kann, oder wenn „frau“ nicht kann, warum nicht von der Oma.

Ein anderes Beispiel ist, dass mit Frauen der Weg nach der Karenz besprochen wird, während das bei Männern meist kein Thema ist. So denke ich nicht, dass fehlende berufliche Interessen ausschlaggebend sind, sondern die Erwartungen an die Rolle als Frau, insbesondere als Mutter oder Pflegerin von Angehörigen, und an die Rolle als Mann, insbesondere als Vater und Versorger, sowie die Bedingungen in der Arbeitswelt, die ein Aufbrechen der Rollenbilder, zumindest noch, verhindern.

Gibt es konkrete Vorurteile gegenüber Frauen, die sich für einen handwerklich-technischen Beruf entscheiden. Wenn ja, welche?

Marte-Ender: Konkrete Vorurteile betreffen meist die Fähigkeiten, Interessen und Kompetenzen der Frauen, vorhandene oder potenzielle Betreuungsaufgaben sowie vermeintlich „typisch weibliche Eigenheiten“. Auf Seiten der Frauen beeinflussen diese Vorurteile meist das Selbstvertrauen. Sie fühlen sich beispielsweise nicht intelligent genug, gerade bei mathematischen und technischen Aufgaben, obwohl die Fähigkeiten und Interessen vorhanden wären.

Sarah Marte-Ender, Geschäftsfeldleitung beim FAB Vorarlberg.

Bei Arbeitgeber_innen hat sich aus unserer Sicht bereits viel gewandelt. Dennoch herrschen manchmal noch stereotype Denkweisen vor. Beispielsweise, dass Frauen sich lieber um eine Familie kümmern, sich in einem männlichen Team nicht durchsetzen können oder aufgrund ihrer körperlichen Voraussetzungen und eher sozialen Intelligenz nicht für einen handwerklich-technischen Beruf geeignet sind.

Gibt es in bestimmten Berufen nachvollziehbare Gründe, keine Frau einzustellen?

Marte-Ender: Aus unserer Sicht nicht. Denn auch Männern traut man zu, in allen Berufen zu bestehen. Aber Mann ist nicht gleich Mann. Es gibt große, kleine, dicke, dünne Männer, Denker und Macher und viele mehr. Dasselbe gibt es auch bei Frauen. Berufe und Branchen, Teams und Organisationen profitieren von der Verschiedenheit der Menschen, von unterschiedlichen Stärken und Fähigkeiten, von verschiedenen Denkweisen und Macharten.

Wir haben auch häufig erlebt, dass die Einstellung von Frauen dazu geführt hat, dass ein Betrieb neue Perspektiven entwickelt hat und die unternehmenseigene Kultur positiv beeinflusst worden ist. Beispielsweise, dass eine Frau in einem reinen Männerteam einen Stimmungsumschwung geschaffen und die Zusammenarbeit sich direkt verbessert hat.

Seit 2006 bietet das AMS das Förderprogramm FiT – Frauen in Handwerk und Technik an. Was sind die wichtigsten Punkte bei diesem Projekt?

Marte-Ender: Das Projekt bietet interessierten Frauen die Möglichkeit, eine Berufsausbildung in einem handwerklich-technischen Bereich zu absolvieren. Ob das eine Lehre ist oder eine Ausbildung an einer Schule oder Fachhochschule wird gemeinsam mit erfahrenen Trainerinnen und Coaches erarbeitet. Interessierte Frauen, die vom AMS an uns verwiesen werden, erhalten in einem Erstgespräch alle wichtigen Informationen und werden direkt an den weiteren Projektschritt angeknüpft. Dies ist entweder eine umfassende berufliche Orientierung in der Perspektivenerweiterung oder aber ein Quereinstieg in der technisch-handwerklichen Vorqualifizierung.

Hier werden Frauen, die bereits wissen in welchem Beruf oder in welches Studium sie einsteigen möchten, gezielt auf die Ausbildung vorbereitet und es wird aktiv nach einem Betrieb gesucht. Während der Ausbildung werden die Frauen laufend von uns begleitet, um Unterstützung zu erhalten, gerade bei Rückschlägen oder unvorhergesehenen Schwierigkeiten. Frau kann sich so auf eine durchgehende Betreuung verlassen, in welcher viele Probleme aufgefangen und gelöst werden können.

Welche Erfolge sehen Sie seit Einführung des FiT-Programms in Vorarlberg? Wie hat sich die Beschäftigung von Frauen in handwerklich-technischen Berufen entwickelt?

Marte-Ender: Wenn man an die Anfänge zurückdenkt, hat sich im Abbau von Vorurteilen sehr viel getan. Einerseits sind die Frauen, die in das FiT-Programm kommen, viel diverser. Früher waren es eher sehr gestandene und selbstbewusste Frauen, heute sind verschiedenste Typen und Persönlichkeiten dabei, die sich ausprobieren wollen. Wir erleben weniger Ängste und mehr Offenheit, sich in einem technisch-handwerklichen Beruf zu verwirklichen. Im FAB haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Betriebe in den Anfängen des FiT-Programms sehr skeptisch waren. Vor allem bedingt durch die bereits erwähnten Vorurteile. So war es beispielsweise nicht möglich, eine Frau mit Interesse an KFZ-Technik in einer entsprechenden Firma unterzubringen.

Das ist heute kein Problem mehr. Wir erleben eine große Offenheit. Vor allem kleine und mittlere Betriebe bilden gerne Frauen aus und haben viele positive Erfahrungen gemacht. Beispielsweise im Bereich Tischlerei, wo gerade Feinarbeiten sehr geschätzt werden. Die Wirtschaftskammer führt über „Mädchen in Männerberufen“ eine umfassende Statistik. So waren es im Jahr 2006 395 Mädchen, während es im Jahr 2022 bereits 548 waren. Bei den zehn beliebtesten Lehrberufen finden sich im Vergleich zu 2006 im Jahr 2022 bereits Metalltechnikerin, Elektrotechnikerin und Betriebslogistikkauffrau. In den Jahren gab es immer wieder Spitzen bei bestimmten Lehrberufen, beispielsweise im Bereich Mediendesign, aber auch im Bereich Lager und Spedition.

Im Moment erleben wir ein großes Interesse an Lehrausbildungen als Berufskraftfahrerin - Personenbeförderung und im Metallbereich. Zusammenfassend hat sich in Vorarlberg in Bezug auf Offenheit und Interesse von Frauen, in männerdominierte Berufe einzusteigen, sehr viel getan. Das FiT-Programm hat dazu sicherlich einen kleinen Teil beigetragen, zumindest darin, dass wir viele Frauen auf ihrem Weg in einen neuen Beruf unterstützen und begleiten konnten.

Bringen mehr Frauen im Unternehmen betriebliche Vorteile, Stichwort Diversität?

Marte-Ender: Mehr Diversität in Unternehmen fördert aus unserer Sicht häufig Innovation und Weiterentwicklung. Sei es in Hinblick auf Produkte, in Bezug auf Prozesse oder die Unternehmenskultur an sich.  Wir haben oft erlebt, dass die Aufnahme von Frauen neuen Schwung in den Betrieb brachte. Das hatte meist mit neuen Perspektiven und Ideen zu tun, die gerade bei alteingesessenen Mitarbeiter_innen auf offene Ohren stießen. Sei es das Arbeitsklima, dass sich verbesserte (beispielsweise durch kleine räumliche Änderungen) oder Produkte, die mit neuen Sichtweisen und Ideen weiterentwickelt werden konnten.

Die Betriebe erkannten schnell die Stärken und Fähigkeiten der Frauen. Wir bemerkten, dass damit mehr Offenheit, Flexibilität und auch Verständnis einherging, was sich positiv auf allen Ebenen im Unternehmen auswirkte.  Konkret: Ein Produkt wird auf die Bedürfnisse von verschiedenen Personen zugeschnitten, anstatt nur die männliche Sicht zu berücksichtigen. Oder die Einrichtung einer kleinen Kaffeeecke, die den Mitarbeitenden die Möglichkeit bietet, sich besser auszutauschen oder auch Teamsitzungen, die durch die Anwesenheit einer Frau plötzlich reibungslos und positiv abliefen.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit des FAB mit Unternehmen und wie werden diese für die Aufnahme von Frauen in nicht traditionellen Berufen motiviert?

Marte-Ender: Der FAB in Vorarlberg ist als Bildungsträger schon viele Jahre in Vorarlberg gut verankert und besitzt ein breites Unternehmensnetzwerk. Dennoch war gerade zu Beginn viel Sensibilisierungsarbeit notwendig, um den Frauen überhaupt eine Chance bieten zu können. Unsere Trainerinnen und Coaches haben – auch gemeinsam mit dem AMS – viel Zeit investiert, um Vorurteile gegenüber Frauen in männerdominierten Berufen abzubauen.

Dazu wurde besonders viel auf informellen Kontakt, Schnuppern und Praktika gesetzt, aber auch auf Wissen und gesicherte Informationen in Hinblick auf „tatsächliche“ Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die mitunter kaum vorhanden sind. Am wichtigsten war jedoch, dass sich die Betriebe ein eigenes Bild von den Frauen verschaffen konnten. So wurden Stärken und Kompetenzen erkannt und auch anerkannt. Wichtig war auch die engmaschige Begleitung der Ausbildungen. So konnten sich die auszubildenden Frauen und die Unternehmen jederzeit bei Unsicherheiten und Schwierigkeiten melden.

Das hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass Vertrauen in einer Art geschütztem Rahmen aufgebaut werden konnte. Auch heute noch arbeitet der FAB eng mit den ausbildenden Betrieben zusammen, um Schwierigkeiten vorzubeugen und frühzeitig anzusprechen. Insgesamt ist jedoch weniger Überzeugungsarbeit notwendig, eine Frau auszubilden, als es früher der Fall war.

Wie sehen sie die Zukunft der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt. Wie gelingt es, mehr Frauen für einen handwerklich-technischen Beruf zu begeistern?

Marte-Ender: Prinzipiell wäre die Anerkennung, dass jeder Mensch alles kann und seine Fähigkeiten und Kompetenzen frei einsetzen darf, ein wichtiger Schritt, der sich dann auch auf die einzelnen Ebenen und Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern auswirken würde. Eine gleichberechtigte Sichtweise auf alle Menschen als Menschen würde wahrscheinlich eine Wahlfreiheit schaffen, in der Frauen und Männer zu Hause oder im Beruf bleiben können, so wie es ihren Wünschen, Kompetenzen und Stärken entspricht. Bis dahin sind Änderungen notwendig, die auf der Ebene der Person, der Ebene der Unternehmen und schlussendlich auf der Ebene der Gesellschaft liegen.

Ändert sich die gesellschaftliche Sichtweise auf die Rollen von Frauen und Männern, beziehungsweise Mütter und Väter nicht, ist es sehr schwierig, dass sich strukturell etwas ändert. Das beginnt mit der Wertigkeit von sogenannten Frauen- und Männerberufen, die an sich denselben Wert haben sollten. Durch die unterschiedliche Bezahlung fällt es schwer, Kinderbetreuungszeiten gut aufzuteilen, sodass keine oder wenig Einkommensverluste entstehen, ganz abgesehen von den Arbeitszeiten.

Weiters ist fehlende Kinderbetreuung ein wesentlicher Punkt. Gerade in Vorarlberg ist es für Frauen sehr schwierig, eine Kinderbetreuung zu organisieren, die der Lebens- beziehungsweise Arbeitsrealität entspricht. Hier würden wir uns wünschen, dass mehr unternommen wird, um auch private Lösungen, die meist auf Kosten Älterer gehen und unsicher sind, zu verringern. Zuletzt der Punkt der Care-Arbeit, die abgleitet von den Erwartungen an die Rollen, häufig noch von Frauen übernommen wird, Stichwort Mental-Load. Auch wenn Frauen und Männer die Kinderbetreuungszeiten gut aufgeteilt haben, liegt ein Großteil dieser „Denkarbeit“ bei den Frauen.

Ein wesentlicher Bestandteil wären auch Änderungen in der Arbeitswelt in Bezug auf die Bedingungen und die Kultur. Frauen können gleichberechtigt sein, wenn Männer es sind. Und zwar auf allen Ebenen. In Bezug auf die Arbeitsbedingungen wären flexible Arbeitszeitmodelle notwendig, die es allen – Frauen und Männern – erlauben, nach der Geburt eines Kindes ihre Arbeitszeit zu flexibilisieren und anzupassen, um eine bessere Vereinbarkeit zu gewährleisten. In Bezug auf die Kultur in Unternehmen wäre es ebenfalls zu begrüßen, wenn nicht nur Frauen zum „Gespräch nach der Karenz“ geladen, sondern auch Männer aktiv bei Bekanntwerden einer Vaterschaft angesprochen werden, wie sie ihren Karriereweg nach der Geburt planen möchten. Ohne Vorbehalte, Erwartungen und frei von Rollenbildern.

Zuletzt brauchen Frauen Vorbilder, an denen sie sehen können, dass es möglich ist. Wir erleben im Projekt, dass der Einsatz von Frauen, die selbst eine technisch-handwerkliche Ausbildung absolviert haben, die Teilnehmerinnen enorm motiviert. Sie trauen sich mehr zu und glauben daran, dass sie es schaffen können. Mentorinnen, an die sich die Frauen unkompliziert wenden können und die unterstützen, können ebenfalls nachhaltig wirken. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, um Frauen einen gleichberechtigten Zugang (gesellschaftlich, nicht rechtlich) zum Arbeitsmarkt zu gewähren. Wir sind jedoch auf einem guten Weg, insbesondere Förderprogramme wie das FiT-Programm, leisten dazu einen großartigen und wichtigen Beitrag.

Weitere Informationen zum FiT-Programm des AMS

Verein zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung Vorarlberg

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