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„Es braucht mehr Männer in der Pflege“

Die Hauskrankenpflege spielt eine zentrale Rolle in der Gesundheitsversorgung in Vorarlberg. Sie ermöglicht pflegebedürftigen Menschen, in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben, anstatt in einem Pflegeheim oder Krankenhaus betreut zu werden. Im Interview spricht Johanna Rebling-Neumayr, Geschäftsführerin des Landesverbands Hauskrankenpflege Vorarlberg, über die Herausforderungen in der Pflege, den demografischen Wandel und wie es gelingen kann, Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen.

Johanna Rebling-Neumayr, laut Prognosen könnten in Österreich im Jahr 2050 bis zu 200.000 Pflegekräfte fehlen. Wie stellt sich die aktuelle Situation in Vorarlberg dar, sieht es für die Hauskrankenpflege ähnlich düster aus?

Johanna Rebling-Neumayr: Die Personalsituation in der Vorarlberger Hauskrankenpflege ist gegenwärtig, bis auf wenige Standorte, ausgezeichnet. Das Bildungs- und Kompetenzniveau ist mit einem Anteil von rund achtzig Prozent an diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pflegern zudem sehr hoch. Dass wir ausreichend Personal in hoher Qualität haben, ist vor allem auf die besondere Situation in Vorarlberg zurückzuführen. Die mobile Hauskrankenpflege hierzulande ist auf der Basis von Vereinen organisiert. Das ist österreichweit, und auch europaweit, einzigartig.

Aktuell haben wir 47 Stützpunkte in Vorarlberg und insgesamt 66 Vereine, die aufgrund der kulturellen Geschichte tief in den Gemeinden verankert sind. Daher herrscht ein anderes Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das sich in den vielen kleinen Teams widerspiegelt, die fast schon familiären Charakter haben. Die Kommunikationswege sind kurz, bis hinauf in die Verbandsspitze, die Mitarbeitenden haben ein hohes Maß an Mitgestaltungsmöglichkeiten und es lassen sich immer Lösungen in der Arbeitseinteilung finden, von denen gerade Frauen mit Kinderbetreuungsaufgaben profitieren. Das, und noch vieles mehr, macht die Vereine in der Hauskrankenpflege zu attraktiven Arbeitgebern.

Also ist alles in bester Ordnung?

Johanna Rebling-Neumayr: Derzeit schon. Zukünftig werden wir jedoch, wie andere Branchen auch, den demografischen Wandel deutlich zu spüren bekommen. Und das auf beiden Seiten. Es wird mehr pflegebedürftige Personen geben, und es werden weniger junge Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten. Hier werden wir in eine personelle Schieflage kommen, und das nicht erst in dreißig Jahren, sondern schon in fünf oder allerspätestens in zehn. Pflege bedeutet Nähe und Arbeit am menschlichen Körper.

Dazu gehören beispielsweise Wundversorgung, Verbandswechsel, Körperpflege sowie das Verabreichen von Medikamenten und Injektionen. Dafür braucht es viel Empathie und die Liebe zu den Menschen, was die zukünftige Personalsuche nicht einfacher macht. Daher schauen wir jetzt schon, dass die Menschen, die sich in einer Ausbildung befinden, im Rahmen von Praktika einen umfangreichen Einblick in den Berufsalltag bekommen.  

Und was zeichnet den Berufsalltag in der Hauskrankenpflege aus?

Johanna Rebling-Neumayr: Die Hauskrankenpflege ist mit der Pflege im Krankenhaus nicht vergleichbar. Das sind zwei unterschiedliche Themen. In der Hauskrankenpflege ist man direkt im Privatleben der Menschen und erlebt hautnah deren, manchmal auch schwierige, soziale Situation. Da braucht es Resilienz und den nötigen emotionalen Abstand.

Arbeiten in der Hauskrankenpflege ist ein selbstständiges Arbeiten mit viel Verantwortung. Entscheidungen müssen oft ad hoc vor Ort getroffen werden, eine Rücksprache mit Ärztinnen oder Kollegen wie im Krankenhaus ist oft erst mit Verzögerung möglich. Das kann sehr herausfordernd sein, andererseits hat man viel Freiraum und kann flexibel seine Arbeit gestalten.

Was braucht es, um zukünftig Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen?

Johanna Rebling-Neumayr: Jemand, der einen Beruf in der Pflege ausübt, macht das Leben der Menschen besser. Er oder sie bringt den Pflegebedürftigen konkrete Erleichterung und Heilung. Das sollte in der Öffentlichkeit besser transportiert werden, um die gesellschaftliche Bedeutung der Pflegeberufe ins richtige Licht zu rücken. Dann sollten wir das Potenzial an Arbeitskräften, das auch durch bereits erfolgte Zuwanderung in unserem Land vorhanden ist, effizienter nutzen.

Dazu braucht es früh in der Biografie ansetzende und niederschwellige Angebote, um Menschen für Ausbildungen, beispielsweise in den Bereichen Pflegeassistenz und Pflegefachkraft, zu begeistern. Ich halte nicht viel davon, in unserem Bereich primär auf Menschen aus dem ferneren Ausland zu setzen. Das ist eine teure Lösung, die mit vielen Risiken verbunden ist. Es benötigt sehr gute sprachliche Kompetenzen, und die hohen beruflichen Standards, die wir in Österreich haben, müssen erreicht und sichergestellt werden.

Darüber hinaus benötigen wir bezahlbaren Wohnraum, den wir insbesondere in Vorarlberg nicht bereitstellen können. Das ist der eine Aspekt. Dann gibt es noch die gesellschaftlichen Herausforderungen. Es gibt Menschen, die tun sich schwer damit, von einer Person gepflegt zu werden, die aus einem fremden Kulturkreis stammt. Da gibt es leider immer noch wesentliche Barrieren. Ich bin aber überzeugt, wenn Menschen, die bereits bei uns sind, eine Aufgabe haben, ein Ziel vor Augen, kann Integration über Arbeit gut gelingen. Die Botschaft sollte ganz klar formuliert sein: Wir brauchen euch, um den zukünftigen Herausforderungen in der Pflege gewachsen zu sein.    

Und welche Rolle spielen Männer dabei?

Johanna Rebling-Neumayr: Klassische konservative Rollenbilder sind in unserer Gesellschaft immer noch stark verankert. Pflege, genauso wie die Betreuung von Kindern, ist Frauensache, diese Vorstellung ist weit verbreitet. Zudem fehlen männliche Vorbilder, männliche Role Models, die den Pflegeberuf in der Öffentlichkeit repräsentieren. Wenn man als Mann bestimmte Bilder und berufliche Möglichkeiten nicht im Bewusstsein hat, dann wird sich dahingehend auch kein Interesse entwickeln.

Grundsätzlich ist es ja auch so, je geringer die Bezahlung in einem Beruf, desto weniger Männer sind darin zu finden. Dieser Gender Pay Gap findet sich auch in den Pflegeberufen, wobei sich das schon gewandelt hat und hier der neue Kollektivvertrag noch einmal einen Schritt in die richtige Richtung geht. Tatsache ist jedoch, dass wir mehr Männer in der Pflege brauchen. Es ist ein körperlich anstrengender Job und zu pflegende Männer wünschen sich auch männliche Ansprechpersonen. So wie es Frauen gibt, die ausschließlich von Frauen gepflegt werden möchten, gibt es auch Männer, die nur von Männern gepflegt werden möchten.

Ich bin aber zuversichtlich, es kommt eine andere Generation nach, in der die Jungs mehr Offenheit gegenüber Pflegeberufen mitbringen. Die Berufsberatung kann hier ansetzen und die Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten gezielt auch Jungen kommunizieren. Denn von einer Pflege, in der beide Geschlechter repräsentiert sind, profitieren wir alle.


Weitere Informationen zur Hauskrankenpflege Vorarlberg


Zur Person
Johanna Rebling-Neumayr studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Anglistik (BA) und absolvierte ein Lehramtsstudium in Musikpädagogik und Englisch. Derzeit vertieft sie ihre Kenntnisse im MSc-Studium Wirtschaftspsychologie. Rebling-Neumayr ist verheiratet und Mutter von drei Kindern. Seit Oktober 2024 ist sie Geschäftsführerin des Landesverbands Hauskrankenpflege Vorarlberg. Zuvor war sie in leitenden Funktionen bei ECFT Certifications GmbH und G. Englmayer, Zoll und Consulting GmbH tätig. Ihre Schwerpunkte liegen in Digitalisierung, Change-Management, Leadership, Community Building und Bildungsprojekten. Mehrjährige Auslandsaufenthalte in Oslo und Rom haben ihr internationales Profil geschärft und ihre interkulturelle Kompetenz gestärkt.

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